Stefan Schwartze sitzt seit 2009 für die SPD im Bundestag und ist seit 2022 Patientenbeauftragter der Bundesregierung.
“Der Anfang war eine feine Verschiebung in der Grundeinstellung der Ärzte.” So steht es am Eingang einer aktuellen Ausstellung zur Medizin im Nationalsozialismus der Berliner Charité. Diese Worte sind noch heute eine Warnung. Es ist wichtig, die damaligen Gräueltaten auch in der Medizin als Teil der deutschen Geschichte anzuerkennen – und wichtige Lehren aus ihnen zu ziehen. Eine Lehre müsste aus meiner Sicht sein: Die NS-Medizingeschichte gehört heute in den Lehrplan des Medizinstudiums.
Die Ausstellung Wissenschaft in Verantwortung bereitet die Schilderungen von Überlebenden und Hinterbliebenen des Nationalsozialismus mit neuester Technik auf und vermittelt so eine Vorstellung dieser unvorstellbaren Gräueltaten. “Nie wieder” – das ist, was einem in den Kopf kommt, wenn man die Ausstellung besucht. Deren Forderung nach einer eingehenden Auseinandersetzung mit der Geschichte der Medizin während der NS-Zeit ist dabei mehr als nur ein akademischer Appell. Sie ist eine Forderung nach Gerechtigkeit. Aus Respekt vor den Opfern. Und aus Verantwortung für die Gegenwart und die Generationen nach uns.
Die Medizinstudierenden von heute sind die Ärzte und Ärztinnen von morgen. Sie tragen die Verantwortung, nicht nur Krankheiten zu heilen, sondern auch die ethischen Grundlagen ihres Handelns zu wahren. Die Integration der NS-Medizingeschichte in das Medizinstudium ist ein Schritt in diese Richtung – ein Schritt, der Studierende dazu motivieren soll, sich mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Medizingeschichte auseinanderzusetzen.
Studierende sollten die Möglichkeit haben, aus erster Hand zu erfahren, was in den Konzentrationslagern und anderen Orten des NS-Terrors geschah. So könnte ein Besuch von Gedenkstätten unsere angehenden Ärzte und Ärztinnen dabei unterstützen, eine persönliche Verbindung zu den Ereignissen von damals herzustellen und zu verstehen, welche massiven Auswirkungen medizinischer Missbrauch auf die Opfer hat. Dieser Aspekt der Ausbildung könnte dazu beitragen, dass angehende Mediziner empathischer auf die Bedürfnisse und Rechte ihrer künftigen Patienten und Patientinnen eingehen können.
Darüber hinaus sollten medizinische Fakultäten Lehrveranstaltungen und Seminare anbieten, die sich mit den ethischen Dilemmata befassen, denen Ärzte und Ärztinnen während der Zeit des Nationalsozialismus gegenüberstanden. Durch die Analyse konkreter Fallbeispiele können die Studierenden ein tieferes Verständnis für die komplexen Herausforderungen entwickeln, mit denen auch sie möglicherweise konfrontiert sein werden, und gleichzeitig lernen, wie man ethisch handelt, auch wenn es schwierig ist.
Diese Diskussion ist keine theoretische Übung. Medizin ist nicht nur Wissenschaft, Medizin ist stets auch Berufung und Verantwortung. Es ist unser aller Verantwortung, den Studierenden nicht nur die Heilkraft der Medizin, sondern auch die moralischen, ethischen und humanitären Verpflichtungen nahezubringen.
Nur wenn sie die Vergangenheit wirklich verstehen, können sie die Zukunft der Medizin gestalten – eine Zukunft, die von Menschlichkeit, Ethik und Verantwortung geprägt sein muss. Insbesondere in Zeiten, in denen einige die Ideen von Rassenlehre und Ähnlichem wieder aufleben lassen wollen, müssen wir gegenhalten. Denn “nie wieder” ist nicht morgen, “nie wieder” ist jetzt.
Stefan Schwartze sitzt seit 2009 für die SPD im Bundestag und ist seit 2022 Patientenbeauftragter der Bundesregierung.
“Der Anfang war eine feine Verschiebung in der Grundeinstellung der Ärzte.” So steht es am Eingang einer aktuellen Ausstellung zur Medizin im Nationalsozialismus der Berliner Charité. Diese Worte sind noch heute eine Warnung. Es ist wichtig, die damaligen Gräueltaten auch in der Medizin als Teil der deutschen Geschichte anzuerkennen – und wichtige Lehren aus ihnen zu ziehen. Eine Lehre müsste aus meiner Sicht sein: Die NS-Medizingeschichte gehört heute in den Lehrplan des Medizinstudiums.
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